v.l. Hauptgeschäftsführer Bernhard Mundschenk und Kammerpräsident Stefan Füll sitzen vor Vertretern der Presse.
Handwerkskammer Wiesbaden

23.08.2023: Sommerpressekonferenz zur Konjunktur im HandwerkStabile Lage aber zurückhaltende Erwartungen

Die konjunkturelle Lage der Handwerksbetriebe in Ober-, West- und Mittelhessen hat sich im zweiten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorquartal weiter stabilisiert. Gut 43 Prozent der befragten Betriebsinhaber bewerten ihre Geschäftslage im zweiten Quartal als gut, was einen Anstieg um 4 Prozentpunkte gegenüber dem ersten Quartal des Jahres bedeutet. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Konjunkturumfrage der Handwerkskammer Wiesbaden. Kammerpräsident Stefan Füll zufolge habe sich der Wirtschaftsbereich Handwerk auch nach den verschiedenen Krisen der zurückliegenden Jahre im ersten Halbjahr als erstaunlich widerstandsfähig und stabil erwiesen. Füll: "Das liegt daran, dass unsere Betriebe anpassungsfähig und unsere Mitarbeiter gut ausgebildet sind, dass handwerkliche Produkte und Dienstleistungen oft unverzichtbar sind viele Herausforderungen der Zukunft, wie Energiewende, Verkehrswende und Klimawende ohne das Handwerk nicht realisierbar sind." 

Eingetrübte Erwartungen 

Nach Angaben des Kammerpräsidenten sieht die Perspektive für die kommenden Monate allerdings verhaltener aus. Die überwiegende Mehrheit erwartet zwar eine gleichbleibende Entwicklung, aber der Anteil der skeptischen Betriebe liegt erneut höher, als derjenige der Optimisten. Nur noch 7 Prozent der Betriebe erwarten für das dritte Quartal 2023 eine verbesserte Geschäftslage, während 18 Prozent mit einer weiteren Verschlechterung rechnen. 75 Prozent der befragten Betriebsinhaber gehen von einer stabilen Situation aus. Fast jeder vierte Handwerksbetrieb rechnet mit sinkenden Auftragseingängen in den nächsten Wochen und Monaten. 

In der Betrachtung nach Handwerksbranchen fällt auf, dass sich in der Mehrheit der Sparten die Lage im zweiten Quartal gegenüber dem Vorquartal weiter verbessert hat. Neben dem Bau- und Ausbaugewerbe konnten insbesondere die Kfz-Betriebe und die personenbezogenen Dienstleister von einer guten Geschäftslage profitieren. Nur bei den gewerblichen Zulieferern sowie dem Nahrungsmittel- und Gesundheitshandwerk wurden etwas weniger hohe Zufriedenheitswerte als im Vorquartal gemeldet, wenngleich diese im Vergleich zum Vorjahr immer noch verhältnismäßig gut dastehen. 

Saisonbedingter Rückgang der Beschäftigten 

Im zweiten Quartal ist die Beschäftigtenzahl bei gut 8 Prozent der Betriebe gestiegen, während sie bei über 18 Prozent gesunken ist. Der daraus resultierende negative Saldo aus Personalzugängen und -abgängen stellt ein gängiges saisontypisches Muster dar. Der erneute Rückgang bei der Beschäftigung hänge weiterhin vorrangig mit dem bestehenden Fachkräftemangel zusammen, wenngleich auch die Verunsicherung aufgrund des wirtschaftlichen Umfeldes für die Betriebe sicher eine Rolle spielen, so der Kammerpräsident. "Wir rechnen nicht mit einem signifikanten Beschäftigungsabbau, zumal 76 Prozent der Betriebe die Belegschaft zukünftig konstant halten möchte."

Bürokratische Belastungen verhindert Gründungen 

Kritik übte Füll an dem mangelnden Willen, Bürokratie abzubauen. Die Auswirkungen und Belastungen für Handwerksbetriebe seien enorm, insbesondere für kleine und mittlere Handwerksbetriebe. Eine Umfrage des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), an der sich auch Handwerksbetriebe aus dem Wiesbadener Kammerbezirk beteiligt haben, habe ergeben, dass der Bürokratieaufwand in den letzten fünf Jahren gestiegen sei. Laut der Umfrage haben zwei Drittel der Betriebe im Kammerbezirk aufgrund der Bürokratielasten weniger Zeit für die Bearbeitung von Aufträgen. Eine weitere gravierende Folge der immensen Bürokratie ist, dass gerade viele junge Menschen den Schritt in die Selbständigkeit scheuen, was die dringend notwendigen Neugründungen und Betriebsübergaben in vielen Fällen vereitelt. 

Zuwachs bei neu abgeschlossenen Lehrverträgen sowie bei der Zahl der Handwerksbetriebe 

Nach Angaben von Kammerhauptgeschäftsführer Bernhard Mundschenk sind im Bezirk der Handwerkskammer Wiesbaden (Ober-, West- und Mittelhessen) zum Stichtag 31. Juli insgesamt 2.322 neu abgeschlossene Ausbildungsverträge registriert worden. "Dies ist zwar ein deutliches und erfreuliches Plus im Vergleich zum Vorjahr 11,7 Prozent, aber auch nur eine Momentaufnahme, da es für eine endgültige Bilanz des handwerklichen Ausbildungsjahres gerade auch wegen der späten Sommerferien noch viel zu früh ist." Die Chancen für eine Ausbildung im Handwerk noch in diesem Jahr sind nach Angaben von Mundschenk sehr gut. So seien in der Lehrstellenbörse der Kammer noch rund 650 offene Lehrstellen gelistet. "Wir haben auch weiterhin keinen Lehrstellenmangel, sondern einen Lehrlingsmangel". Die Fachkräftesicherung könne nur durch die Verwirklichung einer echten Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung gelingen. Dazu gehöre neben einer verbesserten finanziellen Unterstützung der Meisterfortbildung auch die Einrichtung von Azubi-Wohnheimen. "Was für die Studenten schon seit langem richtig und wichtig ist, muss auch für Lehrlinge gelten".  Von zentraler Bedeutung für die Fachkräftesicherung sei eine verbesserte Berufsorientierung in allen Schulen und damit gerade auch an Gymnasien. Dies sei auch notwendig, um die politisch vorgegeben Ziele für eine Klimawende zu erreichen nach dem Motto "keine Wende ohne Hände". 

Nach Angaben von Mundschenk habe sich auch die Zahl der Handwerksbetriebe im ersten Halbjahr erfreulich entwickelt. Mit insgesamt 27.115 registrierten Betrieben sei erstmalig die Marke von 27.000 Handwerksbetrieben im Kammerbezirk überschritten worden. Allerdings habe sich der Trend der unterschiedlichen Entwicklung bei den verschiedenen Handwerksgruppen fortgesetzt. Während es bei den grundsätzlich meisterpflichtigen zulassungspflichtigen Handwerken einen leichten Rückgang von 1 Prozent (-182 Betriebe) gegeben habe, seien umgekehrt die zulassungsfreien Handwerke um 3,5 Prozent (+216) bzw. die handwerksähnlichen Gewerbe um 3,7 Prozent (+99) gestiegen. 

Forderung nach einer handwerksgerechten Verkehrspolitik und neuen Rheinbrücken 

Mundschenk sprach sich für ein ganzheitliches, regional abgestimmtes Verkehrskonzept unter Berücksichtigung des Wirtschaftsverkehrs aus. Hierzu gehöre etwa auch eine Verbesserung des Parksuchverkehrs für Handwerkerfahrzeuge gerade in den Innenstädten. Durch den Ausbau von Ladezonen, einer unbürokratischen Erlaubnis der Befahrung der Fußgängerzonen und im Voraus buchbare Parkplätze würden Betrieben und Kunden enorm geholfen.  Dringend notwendig sei der Erhalt und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, insbesondere von Straßen, Schienen, ÖPNV und Brücken sowie deutlich schnellere Planungs- und Genehmigungsverfahren. 

Die vor kurzem erfolgte Öffnung der Schiersteiner Brücke nach zehn Jahren Bauzeit sei für den Wirtschaftsraum Wiesbaden-Mainz sowie das gesamte Rhein-Gebiet von enormer Bedeutung. Es bleibe zu hoffen, dass auch die Salzbachtalbrücke alsbald für den Verkehr wieder zur Verfügung stehe. Darüber hinaus bestehe aber weiterhin die dringende Notwendigkeit des Baus weiterer Rheinquerungen zwischen den beiden Landeshauptstädten Wiesbaden und Mainz sowie auch zwischen Rüdesheim und Bingen. Eine weitere Brücke im Mittelrheintal auf dem langen Abschnitt zwischen Wiesbaden und Koblenz sei für die eng vernetzte Wirtschaft auf beiden Seiten des Rheins ebenfalls von großer Wichtigkeit. "Mit den Bauwerken aus den 1960er Jahren lässt sich das Verkehrsaufkommen von heute jedenfalls nicht bewältigen", so Mundschenk.

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Dirk Kornau M.A.

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